Mittwoch, 28. Mai 2014

ADHS wird vererbt

Obwohl es bereits seit vielen Jahren wissenschaftlich abgesichert ist, dass ADHS vererbt wird, gibt es immer noch Kritiker, die das in Frage stellen. Sie geben meist den Eltern die Schuld, wenn ihre Kinder über die Stränge schlagen. Ein harter Vorwurf. 

Dass die Erziehung von Kindern mit ADHS schwierig ist, würde wohl kein Psychiater bestreiten. "Die Erziehungsprobleme sind jedoch als Folge und nicht als Ursache zu sehen", sagt der Diplom-Psychologe Steffen Hieber. Die Tatsache, dass in den meisten Fällen mindestens ein Elternteil selbst betroffen ist, macht ein harmonisches Miteinander nicht unbedingt einfacher. Viele Erwachsene merken sogar erst am Verhalten ihrer ADHS-Kinder, dass sie ihnen früher mal sehr ähnlich waren oder es immer noch sind.

Schon im Jahr 1902 erkannte der Engländer Sir George Still eine mögliche Verebung der Aufmerksamkeitsstörung. Seit den 70er Jahren führten Wissenschaftler dann immer mehr Studien zur ADHS-Ausprägung in Familien und bei eineiigen Zwillingen durch. Seitdem war der genetische Zusammenhang nicht mehr von der Hand zu weisen. Diese Erkenntnis wurde verfestigt, als Forscher in den Achtzigern begannen, die involvierten Gene zu identifizieren.

Genau wie das Symptombild des ADHS ist auch die genetische Grundlage sehr komplex. Forscher schätzen, dass etwa zwei Dutzend verschiedene Gene an der Entstehung von ADHS beteiligt sind. Außerdem gilt es, die Umwelteinflüsse zu entschlüsseln, die auf diese Gene einwirken und damit die Ausprägung des Störungsbildes beeinflussen können.

Auch wenn die detaillierte genetische Entschlüsselung des ADHS die Wissenschaft noch eine Weile in Atem hält, steht dennoch fest: Wer ADHS hat, hat es bereits von Geburt an. Es ist nicht möglich, dass es sich erst im Laufe des Lebens entwickelt.

Die Psychiaterin Prof. Dr. Alexanrda Philipsen sagte im Interview mit der Apotheken Umschau: "Mit einer Erblichkeit von 60 bis 70 Prozent wird kaum eine andere Erkrankung so stark genetisch weitergegeben wie ADHS." Zwar gibt es weitere Faktoren, die die Entstehung von ADHS begünstigen, wie z. B. Schwangerschaftsprobleme, aber die genetische Komponente hat den größten Einfluss.

Dienstag, 27. Mai 2014

ADHS-Kinder: anders, als die meisten sind

Kinder mit ADHS können aus jedem Tag eine neue Herausforderung machen. Viele Eltern, Erzieher und Lehrer wissen das nur all zu gut. Magrit Dietze ist es gelungen, das Ganze in Worte zu fassen - in sehr schöne Worte, wie ich finde. Das folgende Gedicht hat sie 2001 in ihrem Buch Kinder, die anders sind - Gedanken und Gedichte nicht nur für Pflegeeltern veröffentlicht:

Für mein ADHS-Kind

Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind.
Doch gerade das macht dich zum Orginal.
Du bist anders, du mein Kind,
bist ein wilder Wirbelwind.

Doch ich nehm dich an und liebe dich total.
Schon am Morgen ziemlich früh,
da sprühst du vor Energie.

Schmeißt vor Lebensfreude alle aus dem Traum.
Warten kannst du nicht, oh nein,
was du willst, muss sofort sein.

Brav und leise sein, so was gelingt dir kaum.
Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind ...
Quirlig bist du ohne Rast,
und was du begonnen hast,
musst du nicht zu Ende bringen, das ist klar.
 

Denn dir fällt was Neues ein
und auch das muss sofort sein.

Vergessen hast du dabei, das was vorher war.

Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind ...

Ruhig zu sitzen findst du dumm,
und oft schmeißt du etwas um,
weil du in Gedanken wieder ganz woanders bist.

Hosen, Dinge ohne Zahl
gehn kaputt zu meiner Qual.

Zählen kann ich kaum, was du mal wo vergisst.

Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind ...

Wenn dich was Neues intressiert,
bist du gar nicht mehr blockiert.

Bist begeistert bei der Sache ganz und gar.

Doch ist es nicht mehr interessant,
legst du`s ganz schnell aus der Hand,
weil es für dich so kurz nur etwas Neues war.

Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind ...

So viele, die verstehn dich nicht,
denn böse Absicht ist das nicht.

Du hast ein sonniges Gemüt, das weiß ich fest.

Sie meinen du willst so wild sein,
doch glauben wolln sie`s nicht, oh nein,
dass deine Krankheit dich vieles so machen läßt.

Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind ...
Drum lernen wir zusammen nun,
gemeinsam was dagegen tun.

Und Schritt um Schritt wirds besser für uns zwei ein Stück.

Ich lerne immer neu von dir
und du lernst auch etwas von mir.

Alleine sind wir dabei nicht, zu unserm Glück.
Du bist anders, du mein Kind,
anders als die meisten sind ...

 

Montag, 26. Mai 2014

Kevin Großkreutz – ein unerkannter ADHSler?


Der Dortmunder Kevin Großkreutz gehört ohne Frage zu den Fußballern der besonderen Art. Mit großem Talent und einem noch größeren Willen schaffte er es von der geliebten Südtribüne des BVB bis auf den Rasen zu den Profis. Er glänzte bereits in der Champions League und ließ sich weder von einer gebrochenen Nase noch von einem entzündeten Weisheitszahn aufhalten. Wenn andere längst einpacken würden, bringt Großkreutz noch immer Bestleistungen. Und das Lob vom Trainer wirkt auf ihn mehr als das beste Schmerzmittel

Der 25-Jährige ist emotional und steht dazu. Im Interview mit 11Freunde sagte er: „Wer auf dem Platz keine Emotionen zeigen will, braucht nicht Fußball zu spielen“. Und doch wird ihm genau diese Eigenschaft in letzter Zeit immer wieder zum Verhängnis. Erst vor wenigen Wochen hatte Großkreutz einen Köln-Fan mit einem Döner beworfen, weil der ihn angeblich beleidigt hatte. Ein Strafverfahren wurde eingeleitet. Doch inzwischen folgte bereits der nächste Eklat des Dortmunders nach dem verlorenen DFB-Pokalfinale in Berlin. Er hatte die Niederlage nicht verkraftet, seine Trauer in Alkohol versenkt und sich dann im Hotel daneben benommen. Die Folgen: eine hohe Geldstrafe vom BVB, ernste Worte vom Bundestrainer und, was wohl am längsten nachwirkt, ein schlechtes Bild in der Öffentlichkeit. Das liegt vor allem daran, dass keiner nach den tieferen Ursachen von Großkreutz´ Verhalten fragt.

Oliver Bierhoff (Manager der deutschen Nationalmannschaft) stellte immerhin fest, dass der Dortmunder noch jung sei und lernen müsse, "manchmal sein Temperament, seine Impulsivität, also genau die Eigenschaften, die ihn beim Fußballspielen ausmachen, außerhalb des Feldes besser zu kontrollieren." Aber kann er das alleine überhaupt schaffen? Was ist, wenn dieses Verhalten nicht an seinem Alter sondern an seiner Persönlichkeit liegt?

Immerhin erfüllt Kevin Großkreutz ganz offensichtlich einige ADHS-Kriterien: Er ist über-ehrgeizig, voller Energie, emotional, risikobereit, impulsiv, leicht provozierbar, aber auch sehr sozial. 2013 übernahm er das Amt von Rudi Assauer als ehrenamtlicher Botschafter der Solidarfonds-Stiftung NRW

Sein Vater, Martin Großkreutz, sagt über ihn: „Der Kevin war als Kind schon verrückt.“ Natürlich meint er das nicht böse, sondern beschreibt damit viel mehr, wie vernarrt sein Sohn schon damals in den BVB war. Wenn aber etwas gegen seinen Willen ging, reagierte der junge Fußballer schon damals trotzig. „Wenn früher mal wegen schlechten Wetters das Training ausgefallen ist, hat der Kevin geheult wie ein Schlosshund.“, sagt sein Vater. Dann hätte er sich den Ball genommen und stundenlang allein im Garten gekickt.  

Inzwischen zählt Kevin Großkreutz zu den ganz Großen im deutschen Fußball und wird sehr wahrscheinlich mit zur WM nach Brasilien fahren. Aber vielleicht gehört er nebenbei auch zu den rund 20 Bundesligaspielern mit ADHS, die es bei einer Prävalenz von ca. 5 Prozent mindestens geben müsste.* Dann bräuchte er auf jeden Fall mehr Verständnis und Unterstützung von seinen Mitspielern, Trainern und Betreuern, besonders in heiklen Situationen. Wenn man ihm das gewährt, kann Großkreutz sich wieder voll und ganz auf das konzentrieren, was er am besten kann: Fußball spielen.

* Überschlagsrechnung ausgehend von 23 Spielern pro Team in den 18 Mannschaften der 1. Bundesliga, also 414 Spieler. 

Freitag, 23. Mai 2014

ADHS und Hochbegabung

Ich habe ein sehr schönes Video gefunden, das zeigt, wie nah ADHS und Hochbegabung beieinander liegen. Was aber immer noch häufig fehlt, ist das Verständnis für anders funktionierende Menschen. Statt sie in Schubladen zu stecken, sollten sie gezielt gefördert werden.


ADHS und seine Symptomvielfalt

Viele Menschen verbinden mit ADHS vor allem Unkonzentriertheit, Herumzappeln, Trotzverhalten und Chaos. Doch das sind nur wenige Aspekte des großen Spektrums der typischen ADHS-Verhaltensweisen und kommen längst nicht bei jedem Betroffenen vor. Menschen mit ADHS können sich sehr ähnlich sein, aber auch komplett unterschiedlich. Das ist sowohl von der Persönlichkeit abhängig als auch vom Umfeld und den sogenannten Komorbiditäten. Denn kaum ein ADHSler hat „nur“ ADHS. Viele haben zusätzlich beispielsweise Ängste oder Zwänge entwickelt, die das ADHS-Verhalten abmildern oder sogar komplett ausbremsen. Auch wenn Angst- und Zwangsstörungen per Se nicht schön sind, können sie im Fall von ADHS eine schützende Wirkung haben.

So kann zum Beispiel die Angst vor gefährlichen Situationen, in denen man sich verletzen oder gar sterben könnte, bei Betroffenen dazu führen, dass sie nicht so riskant Autofahren, wie man es sonst häufig von ADHSlern kennt.

Auch die Angst davor, im eigenen Chaos nicht mehr durchzublicken (sei es Papierkram, Klamotten usw.), kann dazu führen, dass ADHSler regelrecht "überordentlich" sind. Viele schaffen sich sogar klare Strukturen, schreiben To-do-Listen, führen sorgfältig einen Terminkalender und erstellen sich eigene Arbeitspakete, um besser zurecht zu kommen. Dieser große Ehrgeiz führt dazu, dass man von außen meinen könnte, sie hätten gar kein ADHS.

So ähnlich ist es mit Betroffenen, die sich immer erst in ihre „perfekte Fassade“ hüllen, bevor sie aus dem Haus gehen. Sie wirken auf andere freundlich, zuvorkommend, einfühlsam und erwecken den Eindruck, als wären sie einer der glücklichsten und ausgeglichensten Menschen der Welt. Nur wer sie genauer kennt, weiß, das so eine Fassade auch ihren Preis hat. Und den muss auch die Familie bzw. die nächsten Angehörigen zahlen. Denn sobald der „perfekt funktionierende ADHS-Fassadenmensch“ wieder in seiner vertrauten Umgebung ist, ist er doch wieder ganz der alte. Launisch, sensibel, kränklich oder auch anders anstrengend... Auf jeden Fall braucht er dann meist jemanden, der sich um ihn kümmert.

Aber zurück zu den „typischen“ ADHS-Verhaltensweisen, von denen jeder Betroffene seine ganz persönliche Mischung hat. Die folgende Tabelle soll zeigen, dass manche Eigenschaften sowohl gute als auch schlechte Seiten haben.


Eigenschaft daran positiv daran negativ
sehr sensibel/emotional großes Einfühlungsvermögen leicht verletzlich
Stimmung schwankt (lässt sich nicht steuern) große Begeisterung und Freude möglich schnell enttäuscht
unfähig, Reize zu filtern bekommt alles mit, gute Beobachtungsgabe leicht ablenkbar, unkonzentriert
kreativ und ideenreich findet für (fast) alles eine Lösung, will vieles optimieren führt kaum etwas zu Ende, weil schon wieder die nächste Idee kommt
„Helfersyndrom“ eigentlich alles aber: kann leicht ausgenutzt werden
spontan sehr flexibel, Improvisationstalent wirft auch mal Dinge zu schnell über den Haufen
risikobereit manchmal nützlich und wichtig mangelnde Gefahreneinschätzung kann schlimme Folgen haben

Und hier noch einige Stärken und Schwächen, die sich dort nicht einordnen lassen:

Stärken:
  • großer Tatendrang, viel Energie
  • ausgeprägter Gerechtigkeitssinn
  • große Zuverlässigkeit in Notsituationen
  • besondere Leistungsfähigkeit im Hyperfokus
  • sehr schnelle Auffassungsgabe
  • oft überdurchschnittliche Intelligenz
  • humorvoll, schlagfertig

Schwächen:
  • oppositionelles Verhalten (aus Prinzip „dagegen sein“)
  • Schwierigkeiten, sich unterzuordnen oder anzupassen
  • impulsives Verhalten, Aggressivität
  • wenig Strukturiertheit, häufig Chaos (z. B. unpünktlich, vergesslich)
  • häufiges Aufschieben unangenehmer Tätigkeiten (z. B. Hausaufgaben, Formulare ausfüllen)
  • geistige und/oder motorische Unruhe (z. B. träumen, grübeln, zappeln)
  • schnell gelangweilt
  • alles persönlich nehmen, schnell beleidigt sein, nicht kritikfähig

Mittwoch, 21. Mai 2014

Die Umgebung ist entscheidend

Auch unsere Nachbarn aus Österreich beschäftigen sich viel mit ADHS. Forscher haben dort zum Beispiel herausgefunden, dass ADHS-Kinder in Kreativitätstests besser abschneiden als andere, weil sie originellere Ideen haben. Besonders wichtig sei für die Kinder eine verständnisvolle und strukturierte Umgebung, damit sie sich positiv entfalten können. Außerdem brauchen sie ganz besonders viel Lob. Hier gehts zum Artikel

Dienstag, 20. Mai 2014

ADHS bringt viel Potenzial mit sich

"Wenn ich heute Kind wäre, würden sie bei mir ADHS diagnostizieren.", sagt kein geringerer als Hollywood-Schauspieler Will Smith. Und damit ist er nur einer von vielen Promis, auf die das zutrifft. Der Pädagoge Gerhard Spitzer ist sich sicher: ADHSler haben eine Menge Potenzial. Sie müssen allerdings lernen, ihre Fähigkeiten im Leben richtig einzusetzen. In seinem Buch "Warum zappelt Philipp?" und im folgenden Artikel erklärt Spitzer sehr einfühlsam, worauf es im Umgang mit ADHS besonders ankommt. Er weiß, wovon er redet, denn er ist selbst betroffen und erfolgreich.

Zum Artikel


Thom Hartmann spricht über ADHS

Der amerikanische Psychotherapeut und Buch-Autor Thom Hartmann spricht im Fernsehinterview über die Entwicklung von ADHS. Sehr anschaulich erläutert er seine Hypothese, dass ADHSler einst die erfolgreichen Jäger unter uns waren. Außerdem geht er auf die extreme Zunahme der Diagnosen in den letzten Jahren ein und kritisiert die massive Behandlung mit Psychopharmaka.

Sein Fazit: Wir müssen die Menschen mit ADHS so annehmen, wie sie sind. Und wenn wir das tun, können wir die Bedingungen in der Schule und am Arbeitsplatz so gestalten, dass es ihnen damit gut geht.

Sonntag, 18. Mai 2014

Das Phänomen ADHS

An dem Begriff ADHS kommt heute kaum noch jemand vorbei. Es ist eine Diagnose, an der Pharmakonzerne verdienen, Eltern verzweifeln, und die von Ärzten nicht selten viel zu schnell gestellt wird. Kritiker haben ihre Freude an der "erfundenen Krankheit", die scheinbar wie ein Virus um sich greift. In den letzten Jahrzehnten haben immer mehr Kinder, Jugendliche und mittlerweile sogar Erwachsene das "Label ADHS" bekommen. Sie fallen auf, stören, können sich nicht unterordnen und sind mehr oder weniger zum Scheitern verurteilt. Zumindest in unserer heutigen Leistungsgesellschaft.

Doch früher, sehr viel früher war ADHS vermutlich ein evolutionärer Vorteil. Die erfolgreichsten Jäger der Steinzeit trugen die ADHS-Gene in sich und gaben sie an die nächsten Generationen weiter, bis sie letztlich bei uns landeten. Viele Jahrtausende lang hatte die Evolution Zeit, ADHS auszulöschen. Doch dieser außergewöhnliche Persönlichkeitstyp überlebte.

Warum? Weil ADHS auch Vorteile mit sich bringt! Bedeutende Entdecker, Erfinder, Unternehmer, Sportler und Künstler waren bzw. sind betroffen und haben die Entwicklung der Menschheit geprägt und verändert. Aber auch diese positiven Aspekte bergen die Gefahr in sich, dass ADHS-Betroffene, die darunter leiden, nicht ernst genommen werden. Daher ist die Definition als Krankheit im Falle ausreichenden Leidensdruckes auch weiterhin wichtig, um von Staat und Krankenkassen die notwendige Hilfe und Unterstützung bei der Behandlung zu erhalten.

Genau diese Vielschichtigkeit des Phänomens ADHS soll hier dargestellt werden.